Ich habe noch immer Christines Stimme im Ohr, die mir sagte, dass ich bei dieser Feier über etwas Besinnliches und etwas Unpolitisches reden sollte. Liebe Christine, das hat die letzten beiden Male nicht funktioniert; diesmal wird es auch nicht klappen, weil das, was mich umtreibt, weniger die Eskapaden meiner Töchter als die große Politik sind. Denn ich erlebe unsere Zeit als eine Krise, die immer mehr auf einen unberechenbaren Höhepunkt zuläuft und die immer mehr Menschen betrifft.
(Die Ursachen der noch bis heute andauernden Krise liegen in einer Zeit, in der einige von euch noch gar nicht auf der Welt waren: Die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten fiel in eine Phase des Wohlstands, in eine Phase also, in der nach guter Keynesianischer Lehre Rücklagen gebildet werden sollten, auf die man in Krisen zurückgreifen könnte. Doch anstatt zu sparen, musste die neue Bundesrepublik die Sozialkassen füllen, Steuern erhöhen. und massiv Schulden machen. Die Bürger im Westen merkten das kaum, weil mit dem Fall des Eiserenen Vorhangs eine Zeit des Wohlstands einsetzte. Der Westen flutete die Länder mit seinen Produkten und kaufte zu besten Bedingungen ehemalige Staatsbetriebe auf. Doch die Steuereinnahmen waren nicht so hoch, als dass sie den Geldbedarf hätte decken können.
Und hier setzte ein Mechanismus ein, der uns bis heute begleitet: Anstatt die Kosten auf die Bürger umzulegen, beschlossen vernünftige Politiker, Schulden in der aktuellen Krise aufzunehmen und sie auf einen langen Zeitraum gedehnt zu tilgen, wenn die Zeiten sich beruhigt haben. Das erwies sich allerdings zu optimistisch. Schon 10 Jahre später um 2000 erschütterte die Dotcom-Krise die Brache der Computertechnologie, auf die die USA mit massiven Zinssenkungen regierten, was wiederum dazu führte, dass der Immobilienmarkt dort zum Spielball wüster Spekulationen weltweit und daher auch europäischer Banken wurde. Hätte man diese pleite gehen lassen, hätte dies Millionen von Sparern das Ersparte gekostet und die Wirtschaft massiv geschädigt. Also stabilisierten die Staaten das System, indem sie Badbanks gründeten und zuließen, was allerdings nur mit der Aufnahme neuer Schulden funktionierte und die eigentliche Problemlösung wieder in eine bessere Zukunft vertagte. Geschont wurden wieder Bürger und Wirtschaft. Geschon wurden aber auch die Big Players der Finanzindustrie, die „too big to fail“ waren. – Dieser Teil der Rede wurde nicht gehalten)
Es ging los vor fast 20 Jahren mit der Immobilienkrise in den USA, in die europäische Banken verstrickt waren, dann rückte das Unheil schon näher an uns heran mit einer Krise in Südeuropa, in denen große Banken und Versicherungen auch aus Deutschland eine unrühmliche Rolle spielten. Dann kam Corona, dann der Ukrainekrieg.
Die Krisen sind uns immer näher gerutscht und die Regierungen haben sie von uns ferngehalten und abgefedert durch immer neue Schulden, in der Hoffnung, dass sie zurückgezahlt werden können, wenn die Zeiten wieder besser werden. Doch die Zeiten wurden nicht besser, weil sich Krise an Krise reiht und ein Ende nicht in Sicht ist.
Auch für uns in Hirschau wurde es immer schwieriger,
- weil in Berlin und München das immer weniger werdende Geld für Dringenderes zur Verfügung gestellt werden musste, gingen die Kommunen immer häufiger leer aus,
- weil immer weniger Projekte vom Land und vom Bund gefördert wurden und werden und
- weil sich die Voraussetzungen für Förderungen verschärften.
Vieles, was eigentlich hätte getan werden müssen, blieb liegen geblieben. Ein riesiger Berg müsste abgearbeitet werden, aber es fehlt inzwischen das Geld dafür. Beispiele im Kleinen, bei uns: die Sanierung der Schule und der Kindergärten.
Beispiele im Großen:
- der Ausbau der Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur,
- der Ausbau der Digitalisierung,
- die Reform des Bildungswesens
- die Reform des Gesundheitswesens
- die Integration von Migranten in einen sich leerenden Arbeitsmarkt,
- der Ausbau der regenerativen Energien
- und besonders der Kampf gegen den Klimawandel.
Vieles bleibt liegen, obwohl es dringend ist.
Das alles bremst die Wirtschaft, führt zu Umsatzeinbrüchen und Insolvenzen und noch geringeren Einnahmen aus der Gewerbesteuer. Das bremst wiederum uns aus.
Das ist problematisch. Problematischer ist jedoch, wenn viele Bürgerinnen und Bürger jetzt dort nach Schuldigen suchen, wo Entscheidungen getroffen werden: In den Ministerien, in den Parlamenten, den Stadt- und Gemeinderäten. Sie haben Angst, dass sich ihr Lebensstandard verschlechtert. Und diese Angst frisst das Vertrauen in diese Institutionen – wenn nicht sogar in die Demokratie.
Und es könnte das allergrößte Problem werden, wenn viele Bürgerinnen und Bürger den etablierten demokratischen Parteien ihr Vertrauen entziehen, indem sie extremen Rattenfängern ihre Stimme geben. Argument: „Schlechter machen die es sicher auch nicht.“
Daher müssen uns im Vorfeld der Wahlen genau überlegen, wofür und wie wir werben. Im Grunde wird es erst einmal nötig sein, für die Demokratie an sich zu werben. Es wird nötig sein, zu zeigen, welchen Wert und welche Chancen eine offene Gesellschaft, die Wahrung der Grundrechte, die Kontrolle der Macht, Bürgerbeteiligung, Rechtstaatlichkeit und Mitbestimmung haben.
Vielleicht wäre es auch einmal an der Zeit, darüber nachzudenken, wie die Bürger Politik oft wahrnehmen und wie eine moderne politische Kultur aussehen könnte. Sicherlich nicht so, wie sich Politik gerade auf der großen Berliner Bühne präsentiert und worüber man sich eigentlich nur fremdschämen kann. Wenn wir uns gegenseitig immer unserer Fehler vorhalten, werden die Bürger das Gesamtsystem als fehlerhaft wahrnehmen und uns ihr Vertrauen entziehen. Wenn wir immer öffentlich streiten, erzeugen wir auf die Dauer ein Bild von Uneinigkeit und Inkompetenz. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Das können wir uns nicht mehr leisten. Bürger brauchen Politiker, denen sie vertrauen.
Doch wie sieht eine moderne politische Kultur aus? Im Grund ein kleines bisschen wie der Hirschauer Stadtrat, nur aus einer anderen Perspektive betrachtet und anders kommuniziert: Die meisten Entscheidungen werden bei uns nach einer mehr oder minder langen Debatte einstimmig getroffen. Sehr oft ist das ein Kompromiss, bei dem alle Seiten etwas erreichen und etwas verlieren. Diese Kompromissfähigkeit sollten wir im Kleinen wie im Großen in den Vordergrund stellen und kommunizieren.
Wir würden viel Vertrauen gewinnen, wenn wir die Fähigkeit zum Kompromiss und die Einstimmigkeit stärker herausstellen. Wir sollten auch lösungsorientierter arbeiten, gemeinsame Lösungen präsentieren und viel transparenter werden. Die Fähigkeit zur Zusammenarbeit und zum Kompromiss in der politischen Arbeit ist der wahre Schatz der Demokratie, den es ja schon gibt, der aber noch deutlicher in den Vordergrund gestellt werden sollte.
Lasst uns um das Vertrauen der Menschen werben. Nur mit ihrem Vertrauen werden wir auch unsere Krisen meistern.
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