Wintergedanken zur Politik im Großen: Robert Habeck und die Abiturfahrt (Teil 3)

Viele von euch wissen sicherlich, dass ich Lehrer an einem Gymnasium bin. Ich erinnere mich an folgende Geschichte, die sich im Zusammenhang mit einer Abiturfahrt zutrug: Aus einer Laune heraus schlug ich vor, dass die Schüler und Lehrer Cityroller – die Älteren unter euch erinnern sich sicherlich noch an diese zusammenklappbaren Gefährte – mitnehmen könnten, um in Stockholm billig, schnell und originell von Ort zu Ort zu kommen. Die Reaktion der Damen und Herrn Abiturienten war niederschmetternd. Die Dinger seien viel zu schwer und zu hässlich. Man mache sich doch nicht lächerlich usw. Ich ruderte zurück, verwarf den Vorschlag und ging weiter meiners Weges, nichts Böses ahnend, bis ich nach ein paar Tagen zu meinem Chef zitiert wurde. Eltern hätten sich beschwert, dass ich von ihren erwarte, dass sie für ihre Kinder Cityroller kaufen müssten. Das würden sie niemals tun, weil das im Vergleich zu einem Wochenticket viel zu teuer sei; außerdem seien die Roller zu schwer und zu hässlich … Und mein Chef fügte noch hinzu, dass ich das gar nicht verfügen könne und das nächste Mal ihn informieren müsse, wenn ich die Eltern mit derartigem Unsinn konfrontieren würde. Das saß.

Aber was war passiert? Irgendeiner meiner Schützlinge hat nur mit einem Ohr zugehört, sich aus dem, was er mitbekommen hatte, seine eigene Meinung konstruiert. Dann empörte er sich innerlich, weil er nun wirklich nicht mit einem Cityroller durch Stockholm fahren wollte, und konfrontierte seine Eltern mit einer noch weiter zugespitzten Empörung solange, bis sich diese auch seiner Meinung anschlossen, womöglich noch, nachdem sie mit anderen Eltern kommuniziert hatten, deren Sprösslinge auch nicht so genau zugehört hatten. Dann riefen sie sehr aufgebracht meinen Chef an, der sich wiederum empörte.

Und jetzt die Aufgabe an euch: Findet den Fehler! Alles wäre nicht passiert, wenn der Herr Sohn wirklich zugehört hätte und einen Zuverlässigen gefragt hätte, wenn er nur den geringsten Zweifel an dem Verstandenen gehabt hätte. Notfalls hätte man auch Herrn Feja anrufen können. Die Nummer war zugänglich. Doch anstatt die Situation zu entspannen, nützte man die Möglichkeit der Empörung und eskalierte.

Warum ich das schreibe? Weil gerade etwas ganz Ähnliches in der großen Politik und der veröffentlichten Meinung passiert: Der gute Robert, der dieses Land wirklich vorbildlich durch zwei große Krisen geführt hat, äußerte sich im Wahlkampf zur Gesundheitspolitik. Sein Vorschlag basiert auf dem Konzept einer Bürgerversicherung zur Einbeziehung aller Versicherten zur Finanzierung unseres Gesundheits- und Pflegesystems, also auch der Beamten, Unternehmer und Selbstständigen. Das ist nicht unbedingt neu und wird wohl auch so schnell nicht kommen, weil Widerstand aus der großen Lobbyverbände massiv wäre.

Doch nicht gegen diese Versicherung machen Teile der Presse und der schnell lesenden politischen Elite mobil, sondern gegen einen Teilaspekt, den man gerne überlesen könnte: Wer Millionen in Aktien angelegt hat, und hieraus hohe Gewinne erzielt, sollte sich mit diesem Einkommen genauso solidarisch an der Finanzierung der Sozialversicherung beteiligen, wie die Krankenschwester, die jeden Tag zur Arbeit gehen und unser Land am Laufen hält, und allen anderen auch.

Selbstverständlich gehe es nicht um den normalen Sparer, der für sich etwas zurückgelegt hat oder privat fürs Alter vorsorgt, sondern nur um diejenigen, die so viel Geld haben, dass das Geld für sie arbeitet, statt dass sie arbeiten gehen müssen. Nur diese sollten beteiligt werden. Mal im Ernst: Warum soll man diese in einem wohlgemerkt gedachten Konzept von Vornherein ausschließen? Warum soll das die einzige Ausnahmegruppe sein? Wenn alle anderen dabei sind, müssen die Damen und Herren Großanleger natürlich auch mit ran, auch wenn sie keine Einkünfte aus Arbeit beziehen.

Zugegeben, so ganz zu Ende gedacht ist das nicht und will es, so Harbeck, auch gar nicht sein. Es soll ein Impuls sein, an dem man weiterdenken soll.

Und was macht die Presse daraus? „Abkassieren der Mittelschicht“, „Harbeck fordert Abgabe auf Kapitalgewinne“, „Robert Habeck nimmt Sparern Geld fürs Alter weg“ usw. Hat denn da niemand geschaut, was er wirklich gesagt hat? Hat niemand nachgelesen, wie konkret die Pläne sind? Hat sich jemand fünf Minuten Zeit genommen, um nachzulesen, in welchen Zusammenhang die Äußerung gehört?

Ich befürchte, dass das so ist wie bei meiner Abiturfahrt. Man hört etwas, aber das nur bruchstückhaft, bastelt sich schnell eine Meinung und boostet sie mit viel Empörung in die Welt. Eine an sich gar nicht so schlechte Idee wird so im Nu zerbröselt. Zurück bleiben dann auch nur die Brösel. Und wieder zerschellt ein Impuls und eine gute Idee, bevor sie überhaupt durchdacht wurde, an der Selbstgerechtigkeit der Lautstarken.

Wie kommt es zu so etwas? Es könnte Oberflächlichkeit sein, ein Berauschen an sich selbst – oder auch Bösartigkeit.  Ich hoffe, dass es nicht Letzters ist, weil Demokratie darauf aufbaut, dass man sich gegenseitig respektiert. Da hat die Absicht, einen Politiker wissentlich misszuverstehen und zu zerstören, nichts zu suchen. Bösartigkeit in der Politik zerstört die Demokratie.

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